Seit ungefähr 20 Jahren zeigt sich ein radikaler Wandel im klassischen Feld der Psychotherapien. Die etablierten psychotherapeutischen Methoden wie Psychoanalyse, Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie, systemische und humanistische Ansätze wurden ergänzt durch allerlei weitere Methoden, von denen manche durchaus skurril anmuten (wie zum Beispiel das Klopfen von Akupunkturpunkten im EFT, PEP und weiteren Ansätzen) und dennoch in ihrer Wirksamkeit, die in vielen Fällen durch Studien belegt ist, beeindrucken. In der Psychotherapie, in der üblicherweise geredet, interpretiert, analysiert, oder neue Verhaltensweisen eingeübt wurden, fand nach und nach die (Körper-) Achtsamkeit ihren Einzug. Während reine Körperpsychotherapien noch immer eine Ausnahme in der etablierten Psychotherapie sind, ist der Einbezug des Körpers mittlerweile in vielen Methoden Standard. In der Verhaltenstherapie wird unter dem Stichwort „Embodiment“ mittlerweile von einer 4. Welle dieser Therapierichtung gesprochen. 

In der Traumatherapie gibt es unter den erfolgreichen Methoden nahezu keine, die den Körper nicht mit einbezieht. Vor dem Hintergrund, dass PTBS Symptomatiken sich primär physiologisch manifestieren (mit emotionalen und kognitiven Konsequenzen), macht dies nicht nur Sinn, sondern wird von den meisten Anwendern als essentiell verstanden, um eine PTBS mit ihren dazugehörigen Symptomen zu überwinden. Nur wenige Ansätze der Traumaverarbeitung verzichten auf die Integration des Körpers. Ergänzend zum Einbezug des Körpers, wurden – gerade im Bereich der Traumatherapien – mittlerweile diverse Methoden entwickelt, die einen Zugang zur Traumaverarbeitung über die Augen des Klienten suchen. In diesem Artikel finden Sie einige der Vorläufer zur heutigen Arbeit mit der Blickrichtung.

Im EMDR folgen die Augen der Patientin/des Patienten dem sich schnell hin und her bewegenden Finger der Therapeutin/des Therapeuten. Im Brainspotting schaut die Person auf einen Zeigestab in der Hand der/des Therapeut:in. Wie kann es sein, dass auf diese Art und Weise dramatische traumatisierende Erfahrungen verarbeitet werden? Eine wesentliche Rolle scheint bereits die Tatsache zu spielen, dass die Person auf „etwas“ schaut (Finger, Zeigestab), weniger relevant scheint zu sein, ob dieses „etwas“ sich in einem bestimmten Tempo bewegt. In einer Studie von Martin Sack (2016) zu den bilateralen Bewegungen beim EMDR stellte sich heraus, dass die bilateralen Bewegungen für eine Entlastung der zu verarbeitenden Themen keine Relevanz haben, es aber eine entscheidende Rolle spielt, ob die Patientin/der Patient mit festem Fokus auf den Finger der Therapeutin/des Therapeuten schaut, unabhängig davon, ob dieser sich, wie beim EMDR, hin und her bewegt oder nicht. Eine These, die ich dazu habe ist, dass das Schauen auf Etwas im Aussen eine emotionale Distanzierung von den Inhalten zu erleichtern scheint. Es kommt dann eher zu einer Betrachtung der Emotionen als zu einer totalen Identifikation mit diesen. Ein zusätzlicher Regulationsfaktor für Emotionen ist die Blickrichtung, die im Brainspotting bewusst verändert wird, um zu bestimmten, wie stark ein emotional geladenes Thema aktiv wird. Dies macht diese Methode so einzigartig, da sie erlaubt, sehr kontrolliert den Grad an emotionaler Aktivierung zu justieren.

Die Blickrichtung, die mit einer bestimmten (physiologisch spürbaren) Erinnerung einhergeht aktiviert Strukturen im Mittelhirn, die mit visueller Aufmerksamkeit, Steuerung von Orientierungsprozessen, autobiographischem Gedächtnis und Steuerung von Emotionen zusammenhängen (Corrigan & Grand, 2013). In einer Studie konnten wir deutlich belegen, dass die Blickrichtung eine Relevanz auf das emotionale Empfinden hat und dieses durch einen Wechsel der Blickrichtung intensiviert oder gemindert werden kann (Bieniok, M.; Reich, A. & Hesse, P.U. (2019). Kann die Blickrichtung die emotionale Qualität der Erinnerung von belastenden oder traumatischen Ereignissen verändern? – Eine explorative Studie zu den Grundlagen von Traumatherapien, die mit Blickrichtungen arbeiten)

Durch die Möglichkeit, über die Blickrichtung die Intensität der emotionalen Erfahrung zu regulieren kommt es bei der Klientin/dem Klienten zu einer Wiedererlangung der (emotionalen) Kontrolle über eine Situation in der genau diese Kontrolle verloren gegangen war. Dies ist eine immense Erleichterung in der therapeutischen Herausforderung der Traumaverarbeitung. Durch die Blickrichtung (und weitere Faktoren) kann diese Intensität äusserst präzise gesteuert werden, so dass ein entsprechend großer Schutz vor einer möglichen Überwältigung durch die Emotionen gegeben ist.

Ein weiterer spannender Text ist dieser von Oliver Schubbe. Er beschäftigt sich mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von EMDR, Brainspotting sowie Somatic Experiencing.